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Naomi – eine wahre Geschichte:

Es ist Freitagmorgen und in meinem Pfarrbüro klingelt das Telefon. Naomi ist am anderen Ende der Leitung, eine nigerianische Asylbewerberin, die wir seit Tagen suchen. Naomi hatte vor ca. einer Woche von der Ausländerbehörde der Regierung von Oberbayern, Abteilung Asylverfahren, den Bescheid bekommen, dass sie nach Niederbayern verlegt werden soll. Sie ist hochschwanger, der Geburtstermin lag nur noch 14 Tage entfernt. Naomi besorgte ein ärztliches Attest, das aussagt, dass sie nicht reisefähig ist. Ein Beamter der Ausländerbehörde allerdings ließ sich telefonisch von einem anderen Arzt des Klinikums bestätigen, dass die Frau reisen könne, nur kein Gepäck tragen dürfe. Daraufhin wurde der Reisetag festgelegt und ein Begleiter zur Verfügung gestellt, der Naomi unterstützen sollte.

Hier verschwindet sie erst mal. Alle Bemühungen von meiner Seite, an Naomi heran zu kommen und ihr Vertrauen zu gewinnen, sind erfolglos. Sie bleibt verschwunden. Und eine Woche später dann ruft sie an. Ihre Freundinnen hätten ihr gesagt, die Pastorin der Peace Church suche sie. Und jetzt rufe sie an, weil sie keinen Ort mehr habe, wo sie hingehen könne, und in die Erstaufnahmeeinrichtung, in der sie zuvor war, ließe man sie auch nicht mehr rein. Ich frage Naomi, wo sie sei, und bitte sie, zu mir ins Büro zu kommen.

Während Naomi auf dem Weg ist, rufe ich bei der Ausländerbehörde an, habe Glück und erwische sofort den zuständigen, durchaus gesprächsbereiten Beamten. Ja, Naomi müsse verlegt werden, daran sei nichts zu ändern. Nein, auch der Arztbrief nutze nichts. Dass Naomi allerdings nicht im Zug reisen sollte, versteht er und willigt ein, dass sie noch 3 weitere Tage wieder in die Unterkunft aufgenommen werden soll, bis ein engagierter Mensch sie im Auto mit Sack und Pack ins niederbayerische Dorf bringen könne. Der Beamte lässt sich auf diese Verzögerung ein, weil ich ihm hoch und heilig verspreche, persönlich dafür zu sorgen, dass die Asylbewerberin dann am Montag auch reist.

Zusammen mit Naomi fahre ich in die Unterkunft, um quasi wieder einzuchecken. Das wird zu einer sehr demütigenden Erfahrung für uns beide. Wir müssen unbegründet lange warten, man redet nicht mit uns, füllt im Zeitlupentempo die notwendigen Papiere aus, muss ein neues Foto von Naomi machen, und fragt sie währenddessen barsch, ob sie noch nie einen Fotoapparat gesehen habe. Ein Mitarbeiter der Hausverwaltung versucht, die Situation zu entspannen, aber sein Schutz währt nur so lange, bis sich seine Bürotür schließt. Dann stehen wir beide wieder da und warten. Naomi muss sich setzen, sie kann nicht mehr. Ihr stehen Tränen in den Augen. Warum die Männer sie so behandeln? Warum sie überhaupt so weit fort müsse in ihrem Zustand? – Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Fragen, die mich nur stumm und betroffen machen und zutiefst beschämen. Naomis Gepäck, das sie im Haus eingestellt hat, als sie damals ausgecheckt ist, weil sie es beim besten Willen nicht tragen konnte, ist nicht mehr aufzufinden. Sie bricht schier zusammen. Da ist fast alles drin, was sie besitzt. Sie hatte, als sie ging, nur eine kleine Tasche mitnehmen können… Ich beruhige sie und verspreche, dieses Problem am Montag zu lösen.

Als alles unterschrieben ist, wird uns eine Zimmernummer genannt. Naomi bekommt einen Kissenbezug, in den steckt der Beamte wortlos eine Decke und einen Überzug, eine Packung Vollkornbrot, eine Rolle Klopapier und ein Proviantpaket. Darin enthalten sind: 1 Flasche Mineralwasser, 1 Dose Putenmortadella, eine Dose Sardinen, 1 Schokoriegel, 1 Portion Margarine, 3 Teebeutel, 1 Päckchen Kaffee, 3 Tütchen Zucker, 1 Portion Aprikosenmarmelade. Naomi schaut verzweifelt aus. Sie will das schon gar nicht haben, so demütigend ist es. Aber ich halte die Tüte fest in der Hand und steuere auf das zugewiesene Zimmer zu. Es ist menschenleer, 8 Etagenbetten, eine verlassene Tasche, und jede Menge Müll. Hier kannst du nicht bleiben, sage ich. Hier kann ich nicht bleiben, schluchzt sie. Ohne ein weiteres Wort kehren wir der ekligen Behausung den Rücken zu und verlassen das Haus. Naomi wird bis Montag in der Kirche wohnen, und dann von jemandem aus der Kirchengemeinde oder von mir selbst in die neue Unterkunft gebracht werden. Dann sind es genau noch 6 Tage bis zum berechneten Geburtstermin.

 

 

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