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Mauern – für Kinder sind sie hoch, aber überwindbar, manchmal auch Spielfläche, auf der man balancieren kann. „Die“ Mauer habe ich das erste Mal 1987 in Berlin gesehen, am Brandenburger Tor, dort, wo auch Ronald Reagan kurz zuvor Michael Gorbatschow dazu aufgerufen hatte, diese Mauer niederzureißen. Denn damals war sie unüberwindbar, Ost-West-Geschichte in Gießbeton, Symbol deutscher Teilung. Nur wenn man auf ein Klettergerüst stieg, konnte man andeutungsweise den Boulevard Unter den Linden sehen, davor das Schild „You are leaving the American sector“, ein Überbleibsel aus der Zeit vor dem Mauerbau, als die Sektorengrenze in den Osten noch durchlässiger war.

Dann der 9. November 1989. Eine Pressekonferenz der DDR-Führung, die zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr Herrin ihrer Sinne war, löst Weltgeschichte aus: am Abend verkündigen die (West-)Berliner Radiosender, die Grenze zum Westen sei offen. Zu diesem Zeitpunkt fuhr ich mit einem Kommilitonen auf der Berliner Stadtautobahn Richtung Hamburg. Wir sahen uns an und dachten beide das Gleiche: das ist ein Witz, das kann gar nicht sein! Es war für uns, die wir schon eine Weile in Berlin lebten, einfach unvorstellbar. Irgendwie hatte man sich mit dieser Mauer arrangiert, vor allem, weil der persönliche Bezug durch Verwandte oder Freunde fehlte.

Wir fuhren weiter, auf der Transitstrecke alles wie gehabt, auch an diese Rituale hatten wir uns gewöhnt. In Hamburg angekommen, galt den Besuchern nur wenig Beachtung: der Fernseher mit Bildern aus Berlin war interessanter. Was danach passierte wissen wir alle, jeder hat seine eigenen Geschichten, in Berlin wohl noch ein paar mehr als in München oder Köln. Denn endlich konnten wir die Mauer erklimmen, konnten sie traktieren mit Hämmern als „Mauerspechte“ (einen kleinen Brocken habe ich immer noch), bis sie immer durchlässiger wurde und schließlich niederreißen, die letzte Hürde, wie wir damals dachten, um endlich wieder ein Volk zu werden.

Das alles ist lange her, so lange, dass es mittlerweile Kinder und Jugendliche gibt, die die Mauer nur von Fotos oder Filmen kennen. Sie können wahrscheinlich am wenigsten mit der „Mauer in den Köpfen“ anfangen, Vorurteile, die auch fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall immer noch prächtig gedeihen. Wie schnell ertappe auch ich mich manchmal, wenn ich denke „typisch Ossi“? Ist die Mauer in meinem Kopf in dem Moment nicht einfach nur ein Schutzmechanismus, der mich davor bewahren will, mich wirklich mit meinem Gegenüber auseinanderzusetzen?

Im alten Israel schützte man Städte und Ländereien mit Mauern, deren Niedereißen bedeutete Krieg und Zerstörung, vielleicht neue Herrschaftsverhältnisse. Und heute? Israel baut seit ein paar Jahren eine neue Mauer, sie ist noch höher als die Berliner Variante. Ein anti-terroristischer Schutzwall ist entstanden in Anlehnung an den „antifaschistischen Schutzwall“ der DDR. Doch schützt sie die Menschen, die dahinter leben? Vor Selbstmordattentätern der Hisbollah und der Hamas – laut israelischer Regierung erfolgreich. Aber das ist nur die eine Seite der Realität. Die andere Geschichte erzählt von schwierigeren Lebensbedingungen, Landentnahme, Zementierung von Verständigungsproblemen.

Mauern der Gegenwart sind Zeichen von Sprachlosigkeit, Ohnmacht, in Beton gehauene Herrschaftsinteressen. Sie bringen uns nicht weiter, weder physisch noch geistig. Gerade als Christen aber sollten wir uns daran erinnern, wie Jesus immer von neuem Mauern eingerissen hat, Vorurteile überwunden hat, auf seine Feinde zugegangen ist. Es hilft, Mauern als das zu sehen, was sie auch sind und immer waren: überwindbar.

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