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Was den Glauben betreffe, so betonte schon Friedrich II., gebiete es die Toleranz, dass „jeder nach seiner Fasson selig werden“ solle. Allerdings müsse dies so geschehen, schränkte er ein, dass keine Seite „der anderen Abbruch tue“. Der aufgeklärte Preußenkönig nahm hiermit das vorweg, was in modernen demokratischen Gemeinwesen als ein wichtiges Grundrecht gilt - die Religionsfreiheit. Danach kann jeder glauben, was er will, allerdings kann er nicht alles machen, was er glaubt. Religionsfreiheit gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zwar vorbehaltlos, nicht aber uferlos. Sie wird durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt.

Wenn zum Beispiel die „Zeugen Jehovas“ der Auffassung sind, dass ihnen ihr Glaube jegliche Form von lebensrettender Bluttransfusion verbiete, so dürfen sie diese auf Grund der Religionsfreiheit für sich selbst ablehnen. Sie haben jedoch nicht die Befugnis, ihren minderjährigen Kindern eine solche medizinische Rettungsmaßnahme vorzuhalten, denn dadurch würden sie deren Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Abbruch tun. Die Grenze der Religionsfreiheit ist dort, wo ihre ausufernde Interpretation elementare Rechte Dritter gefährdet, vor allem solcher, die sich - wie Kinder - nicht wehren können.

Sekten wie die Zeugen Jehovas haben für derlei Differenzierungen wenig Verständnis. „Sekten“ sind keineswegs Gemeinschaften, die bloß Anderes glauben als andere. Dies tun ja Hindus oder Buddhisten im Vergleich zu Christen auch, ohne dass man sie als „Sekten“ bezeichnet. Vielmehr handelt es sich bei „Sekten“ um Überzeugungsgruppen, die nach Ideologie und Praxis den Charakter geschlossener Systeme aufweisen. Ihre Lehren, die als doktrinäre Betriebssysteme fungieren, sind genauso totalitär wie ihre kommunitären Lebensformen. Sie nehmen am Leben einer freiheitlichen pluralistischen Gesellschaft nicht partnerschaftlich teil, sondern isolieren sich ghettoartig als - oft „theokratisch“ verstandene - Parallelgesellschaften.

Die mentale und soziale Weltdistanzierung derartiger integrationsunwilliger Sondergemeinschaften drückt sich bereits in dem aus dem Lateinischen stammenden Begriff „Sekte“ aus. Dessen erster Wortstamm - „secare“ - bedeutet abschneiden, abtrennen, absondern, isolieren. Die Angehörigen einer Sekte mögen ihren Lebensraum als rettende „Arche“ (wie das „Universelle Leben“), schützenden Bunker oder beglückende Insel ansehen. Tatsächlich ist er eine Art Käfig, bei dem es für dessen Bewohner letztlich keinen Unterschied macht, ob er eng und rostig oder weitläufig und vergoldet ist.

Tatsache ist, dass Sektenanhänger - ungeachtet ihrer subjektiven Befindlichkeit - Gefangene ihres Systems und ihrer Systemwächter sind, denen sie sich in absoluter Gefolgschaftstreue (Führerprinzip) unterwerfen. Dies drückt sich in dem zweiten lateinischen Wortstamm des Begriffes Sekte - „sequi“ - aus. Dieser bedeutet nachfolgen, folgen - etwa einem „spirituellen Lehrer“, „heiligen Meister“ oder einer „universellen Prophetin“.

Sektenkritik, evangelisch verstanden, ist nicht etwa eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Inquisition, der es um Unterdrückung des Glaubens jener ging, die sich nicht dem „Mainstream“ einfügten. Sondern bei Sektenkritik handelt es sich - ganz im Gegenteil - um eine notwendige Systemkritik im Interesse der Freiheit. Sie ist ein kritisches Plädoyer für die Freiheit des Glaubens und der Glaubenden, deren Mündigkeit und Integrität es durch Information, Beratung und Seelsorge seitens der Kirche zu schützen gilt. Gerade auch gegenüber jenen religiösen oder ideologischen Führern, die das hohe Gut der Religions- und Weltanschauungsfreiheit eigennützig missbrauchen und dabei den Interessen derer, die ihnen vertrauen, nachhaltigen „Abbruch“ tun.

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