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Für Ruth, deren Mann gestorben war, sollten ihre Erbschaftsangelegenheiten geregelt werden, deshalb traf sich Boas mit anderen im Tor – so wird im Alten Testament erzählt (Ruth, 4,1-12). „Im Tor sitzen" bedeutete eine Ehrenstellung: „Die im Tor sitzen, reden über mich" (Ps 69,13). Es sollte ein Ort des wahren Urteils und der Gerechtigkeit sein. Das Tor war damals der Grenzraum zwischen dem, was drinnen war, und dem, was außerhalb der Stadt lag.

Stadttore haben heutzutage maximal musealen oder verkehrsbehindernden Wert, doch die Bedeutung eines Tores ist ungebrochen: Mit Toren werden Spiele entschieden, Welt- und Europameister gekürt und Helden gemacht. Zumindest die, die mediale Öffentlichkeit für Helden hält. Zum einen die, die das Tor sauber halten: Sepp Maier, Oliver Kahn, Manuel Neuer, Silke Rottenberg, Nadine Angerer. Zum anderen die, die die Tore schießen – als Beispiel nur der, der die meisten Tore bei Fußball-Weltmeisterschaften geschossen hat: Miroslav Klose.

Wer den Hunger nach zählbaren Toren – nicht nur im internationalen und nationalen Fußball – beobachtet, bekommt den Eindruck, allein davon könnte das Wohl einer Nation, einer Stadt, einer Region abhängen, dass das „Runde ins Eckige“ geht. Spielergebnisse werden zu Urteilen, die ganze Nationen bewegen – etwa wenn ein fünfmaliger Weltmeister von der Mannschaft einer anderen Nation, die erst drei Mal den Titel errungen hat, 7:1 geschlagen wird. Doch dabei wird vergessen, dass dieses Spiel eben nur 90 Minuten dauert und das nächste – nicht das vergangene Spiel – das Schwerste ist.

So bleibt nur zu hoffen, dass das Augenzwinkern des Spiels nicht zur existentiellen Frage wird. Der Druck Tore zu schießen oder zu verhindern nicht schicksals- oder lebensentscheidend genommen wird. Das Spiel bleibt ein Spiel – und für eine begrenzte Zeit ein – durchaus willkommener – Abschied aus der Welt mit ihren großen Herausforderungen und Problemen, die heutzutage eben nicht mehr „im Tor“ entschieden werden.

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