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Der Theologe Rudolf Bultmann hat 1933 über Wunder Folgendes geschrieben: „Der Gedanke des Wunders als Mirakel ist für uns heute unmöglich geworden, weil wir das Naturgeschehen als gesetzmäßiges Geschehen verstehen, also das Wunder als eine Durchbrechung des gesetzmäßigen Zusammenhangs des Naturgeschehens; und dieser Gedanke ist uns heute nicht mehr vollziehbar“.

Rudolf Bultmann wollte damals den Glauben an Gott, den er als ein existentielles Bewusstsein verstand, freihalten von abergläubischen Vorstellungen. Ganze Generationen von Theologen wollten seit der Aufklärung modern sein, sie wollten das Christentum anschlussfähig machen an die neuzeitliche Wissenschaft. Von diesem verzweifelten Kampf der Theologie um Anerkennung durch die Naturwissenschaft wie davon, dass ich selbst einmal ein moderner Theologe werden würde, ahnte ich absolut nichts, als ich als Kind zweimal ein Wunder erlebt habe.

Beim Ersten war ich ungefähr 4 Jahre alt, es war bei einer Wanderung mit meinen Eltern in den Schweizer Bergen. Rechts der Abgrund, links die Felswand, ein schmaler Pfad. Das Bild hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. Plötzlich stolpere ich und falle…aber nicht wirklich, ich hänge kopfüber über dem Abgrund, denn mein Vater hat mich im letzten Augenblick am Fuß erwischt. Je älter ich werde, umso dankbarer werde ich für diese unglaubliche Reaktionsfähigkeit. Dann, gut 5 Jahre später mit 9, wir waren wieder im Urlaub in der Schweiz, wünschte ich mir nichts mehr als ein Rehbockgeweih zu finden. Haben Sie schon mal versucht, in den Wald zu gehen, um ein Rehbockgeweih zu finden? Ich hab sogar darum gebetet, trotzdem: die zwei Wochen vergingen: Nichts! Am letzten Tag beim letzten Spaziergang streife ich gedankenverloren ohne hinzuschauen mit der Hand durch einen Laubhaufen und habe ein „Stöckchen“ in der Hand. Als ich hinschaue, ist es ein Rehbockgeweih.

Vielleicht lachen Sie über diese Kindheitserinnerungen, für mich sind sie ein Schatz. Haben Sie auch solche Schätze? Als moderner, dezidiert nicht evangelikaler oder charismatischer Theologe habe ich dann Jahre später gelernt, die vielen unglaublichen Wundertaten Jesu (Seewandel, Speisung der 5000, Totenauferweckungen etc.) als literarische Fiktion der nachösterlichen Gemeinden zu deuten, die damit zum Ausdruck brachten, dass sie dem, von dem es hieß, er sei auferstanden, alles zutrauten. Anders war es mit vielen Heilungen Jesu. Diese sind hervorragend bezeugt, sogar von Jesu Gegnern, kaum ein ernstzunehmender Theologe bestreitet das heute noch! Jesus hatte besondere Gaben und Fähigkeiten.

Noch weiter hat mich persönlich auf der Spur der Wunder aber ein Satz von Theodor W. Adorno gebracht, der sagt: „Nur wenn das, was ist, nicht alles ist, kann das, was ist, sich ändern“. Beim Thema Wunder geht es nicht um die Frage, ob ein bestimmtes unerklärliches, wunderbares Ereignis tatsächlich so stattgefunden hat oder nicht, sondern es geht darum, wie wir die Wirklichkeit, in der wir leben, insgesamt wahrnehmen. Wunder sind Momente, in denen wir Gott in unserer Welt wieder entdecken, manchmal an Stellen, an denen wir ihn schon nicht mehr vermutet hatten.

Im 20. Jahrhundert galt es als modern, als emanzipativ, den Wunderglauben zu entmythologisieren, zu säkularisieren, zu verabschieden. Aber die kalte Durchrationalisierung aller Lebens- und Arbeitsprozesse hat uns nicht wirklich freier gemacht; allenfalls verfügbarer. Wer in der beschriebenen Weise an Wunder glaubt, entdeckt vielleicht gerade darin ganz neu eine Kraft zur Veränderung, zur Heilung für uns selbst und diese Welt. Das ist gar kein Widerspruch dazu, sich auch mit allem Verstand und Wissen für eine Verbesserung der Welt einzusetzen.

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