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Ein Vorsatz, versuchsweise, für das neue Jahr: Einmal am Tag in eine Kirche gehen. Sich still in eine Bank setzen. Den Taufstein berühren. Dem Flackern der Kerzen zusehen. Nichts tun außer spüren: Viele waren vor mir da. Ihre Gebete hängen in den Mauernischen, ihre Hoffnungen schweben im Längsschiff, ihre Wünsche, ihre Bitten, ihre Trauer. Herzensanliegen. Jeder Stein weiß davon. Jeder Balken ist zum Gebet geworden durch sie. Ein immerwährendes Wispern. Ich stelle mir vor: die Wände haben jedes Wort bewahrt, jedes Seufzen, jeden Wimpernschlag. Nichts ist verloren.

Ich sitze da und lausche: Der Bäuerin, die im Jahr 1794 auf eine gute Ernte hofft. Der Witwe, die um ihren im Osten verscharrten Mann weint. Der 17-Jährigen, die schwanger ist und nicht weiß, wem sich anzuvertrauen. Dem Vater, der glückselig seine Zwillinge taufen lässt, 1892 oder 1973, wer weiß. Ihre Geschichten machen die Steine lebendig. Ich lausche dem Mann auf der Suche nach Zeit, der Frau mit ihrem Dank für Genesung, dem Tourist, der Pilgerin, dem Hochzeitspaar.

Gott wohnt in ihrer Sehnsucht.

Ich lege mein Gebet in ihre Gebete. Ich stelle meine Kerze in den Schein ihrer Lichter. Ich stimme ein mit meinem Lied in ihren Gesang. Ein unsichtbarer Chor des Lebens.

Tausende waren vor mir da. Tausende werden nach mir kommen. Trotzdem singen wir gemeinsam, einen unendlichen Choral. Durch ihn verschieben sich die Wichtigkeiten: Ich hänge nicht von meinem Tun ab, nicht von dem, was ich leiste. Bedrohliches schrumpft auf Augenhöhe. Zartes wird stark. Einmal am Tag steige ich aus. Trete aus der Zeit, steige hinein in den Fluss der Ewigkeit. Ich lege mich in ihr Bett. Und weiß: Ich bin nicht allein.

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