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Der Jüngling Narcissus, erzählt die antike Sage, war so schön, dass sich alle jungen Frauen und Männer in ihn verliebten. Er jedoch wollte sich niemandem hingeben. Ein verschmähter Liebhaber betete deshalb rachsüchtig zu Nemesis, der Göttin der Vergeltung. Sie bewirkte, dass sich Narcissus in sein eigenes Spiegelbild verliebte, das ihm aus einer klaren Quelle entgegensah. Fortan versuchte er vergeblich unter Weherufen sein Bild im Wasser zu umarmen. Narzissten nennt man Menschen, die ganz auf sich selbst bezogen sind und voller, durchaus auch erotischer Eigenliebe stecken. Altrocker Udo Lindenberg hat die intensive Zuwendung zur eigenen Person in einen Song umgesetzt, dessen Schlussrefrain zeitlos ist: “Da lieb´ ich mich erstmal selber / ich lieb´ mich einfach unvorstellbar / drum prüfe, bevor man sich so radikalo bindet / dass man sich selber erstmal spitze findet / ja, der Trick ist, das begreif ich schnell / nicht hetero-, nicht homo-, sondern autosexuell.“

Der Trick soll vor Liebesleid bewahren, das einem in Beziehungen zu anderen immer droht. „Je mehr einer liebt, desto verwundbarer wird er“ meint der Theologe Jürgen Moltmann. Sage, Song und Sentenz ergänzen sich. Niemand bringt es fertig, ehrlichen Herzens seinen Nächsten, seine Nächste zu lieben, ohne mit sich grundsätzlich im Einklang zu sein oder zumindest unverdrossen an Veränderungen zu arbeiten. Die größten Meckerfritzen sind die, die sich selber hassen und an sich leiden. Liebe zu anderen Menschen setzt voraus, dass Mann und Frau sich akzeptieren, sich richtig mögen mit allem, was zu ihnen gehört. Lieben kann nur, wer auch vermag, mit sich alleine glücklich und zufrieden zu sein. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ bezeichnet Jesus als eines der beiden größten Gebote.

Trotz dem entschiedenen Plädoyer für Selbstliebe: Sie gehört mit der Nächstenliebe zusammen, sonst schmerzt irgendwann der aussichtslose Versuch, sich selber zu umarmen. Sogar der Weg ins eigene Innere, die geistliche und geistig-seelische Selbstwerdung braucht andere Menschen, denen man zugetan ist und die einem als Freunde, Pfarrer oder Therapeuten die nötigen Impulse dafür liebevoll geben. Ein Mensch kommt zu sich selbst, indem er oder sie sich einem Gegenüber zuwendet – ohne deshalb erotisch-sexuelle Liebesbeziehungen zu anderen haben zu müssen. Jede partnerschaftliche, freundschaftliche Kommunikation kann voller Liebe sein.

Franz Kafka hat in einem Brief an die Geliebte geschrieben: „Liebe ist, dass du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.“ Solche etwas einseitige Erfahrung spiegelt immerhin einen Teil der Realität wider. Liebe ist nicht ohne Schmerzen zu haben – dabei muss der oder die andere gar nicht willentlich verletzen. Unverwechselbare, einzigartige Individuen, die sich liebend begegnen, werden notwendigerweise an Grenzen stoßen – an die des anderen, an die eigenen. Die Liebe erträgt, glaubt, hofft und duldet alles, sagt Paulus. Das setzt voraus, dass es allerhand zu ertragen, glauben, hoffen und dulden gibt. Wer wüsste es nicht.

Im alttestamentlichen Hohelied Salomos heißt es: “Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich“. Paulus endet seine Hymne an die Liebe mit der Gewissheit, dass sie das Größte ist – größer noch als Glaube und Hoffnung. Zwischen beiden Aussagen liegt eine tiefe Erschütterung der Wahrnehmung von Diesseits und Jenseits: Gott wird Mensch. Er spiegelt sich nicht narzisstisch in seinen ebenbildlichen Geschöpfen, bleibt nicht auto-göttlich, sondern nimmt menschliche Gestalt an und geht in menschliche Existenz ein. Das ist wirklich der Gipfel. Personifizierte Liebe riskiert und erfährt, was sie immer wieder erfahren muss - Verwundung und Leiden.

Gott ist Liebe, Liebe ist göttlich. Gott wird gemartert, Liebe bekommt Fußtritte. Die Liebe stirbt, Gott mit ihr. Umzubringen ist er nicht. Die Auferstehung des wahren Menschen und wahren Gottes ist ein Fanal für die Dauer der Liebe. Wie das umzusetzen ist in Alltag? Erich Fromm hat es trefflich beschrieben. Wahre Liebe braucht Menschen, die ihre Abhängigkeit, ihre narzisstischen Allmachtsgefühle und den Wunsch, andere auszubeuten, überwunden haben. Liebe braucht Menschen, die bescheiden und zuversichtlich an ihre gottgegebenen eigenen Kräfte glauben und auf sie vertrauen.

Wer liebt, sorgt sich um das Leben und Wachstum anderer Menschen. Er oder sie übernimmt Verantwortung, gibt Antwort auf die artikulierten oder stummen Bedürfnisse des Gegenübers. Wer liebt, achtet Person und Individualität von Mann und Frau – lässt ihn und sie auf eigene Weise wachsen und sich entfalten. Zur Liebe gehört die einfühlsame Erkenntnis des Partners, der Partnerin – ohne ihm oder ihr das wunderbare Geheimnis seiner Person entreißen zu wollen.

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